St.Galler Tagblatt

Reallehrer bekämpfen Frühenglisch

Fruehenglisch

Der Vorstand der St. Galler Reallehrerkonferenz ist überzeugt: Englisch in der Oberstufe ist früh genug. (Bild: Reto Martin (Reto Martin))

Der Vorstand der St. Galler Reallehrerkonferenz mischt sich in die Fremdsprachen-Debatte ein: Er will, dass in der Primarschule nur noch Französisch statt Englisch unterrichtet wird. Mit dieser Forderung steht das Gremium nicht alleine da.

ANDRI ROSTETTER

ST. GALLEN. Seit 2008 lernen Primarschüler im Kanton St. Gallen Englisch bereits ab der dritten Klasse, in der fünften kommt Französisch hinzu. Dass dies auch mit dem Lehrplan 21 so bleiben soll, gefällt nicht allen. «Es wäre ein idealer Zeitpunkt, um den Sinn des Frühenglisch zu diskutieren», sagt Stefan Rindlisbacher, Vizepräsident der Reallehrerinnen- und Reallehrerkonferenz des Kantons St. Gallen (KRK). «Zwei Fremdsprachen sind für sehr viele Kinder zu viel, sie kommen an ihre Leistungsgrenzen. Das schafft Frust und Unlust», sagt Rindlisbacher. Der KRK-Vorstand will nun eine öffentliche Diskussion lancieren – mit einem klaren Ziel: In der Primarschule soll kein Englisch mehr unterrichtet werden. In seinem jüngsten Mitteilungsblatt listet der KRK-Vorstand diverse Argumente gegen Englisch in der Primarschule auf. Rindlisbacher sagt: «Es geht um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Fundament der Volksschule. Was ist ihre Aufgabe? Welche Verantwortung kann sie übernehmen? Welche kann sie getrost abgeben?» Für den KRK-Vizepräsidenten steht fest: Wenn die Primarschule auf ein Fach verzichten kann, dann auf Englisch. «Früher ist Englisch nur jenen Schülerinnen und Schülern ermöglicht worden, die auf der Oberstufe in den Sprachfächern keine Mühe hatten. Heute mutet man Englisch allen Schülern ganz selbstverständlich zu.»

Keine höheren Anforderungen

Der KRK-Vorstand verweist in seinem Argumentarium auch auf den Lehrplan 21. «Dieser definiert für den Englischunterricht sogenannte Mindestanforderungen. Und diese sind nicht höher als zu Zeiten, als das Fach nur auf der Oberstufe unterrichtet wurde», sagt Rindlisbacher. «Diese Kenntnisse genügen, damit die Berufsschulen darauf ihr Fachenglisch aufbauen können.»

Auch die Forschung hat sich in den vergangenen Jahren eingehend mit Frühenglisch befasst. Eine Nationalfondsstudie hatte 2005 die Einführung von Englisch als erster Fremdsprache in einer Innerrhoder und einer Zürcher Gemeinde untersucht. Der Befund war so brisant wie ernüchternd: Die Kantone hätten Frühenglisch nicht anhand wissenschaftlicher Massstäbe eingeführt, sondern «aufgrund optimistischer Erwartungen und populärer Meinungen». Die Stichworte dazu sind etwa Globalisierung, Anforderungen der Wirtschaft und internationale Omnipräsenz.

Die Argumente der Frühenglisch-Befürworter werden von der Studie regelrecht zerpflückt. So sei immer wieder zu hören, die Schule des 21. Jahrhunderts müsse auf die Anforderungen der Informationsgesellschaft vorbereiten. Die Wirtschaft verlange deshalb nach Kompetenzen in der am weitesten verbreiteten Sprache. Laut der NF-Studie sieht die Realität freilich anders aus: Englisch werde bei der Lehrstellensuche kein besonderes Gewicht beigemessen. Stattdessen sei Standarddeutsch die Kernkompetenz, zusätzlich werde die französische Sprache als notwendig für das Absolvieren einer kaufmännischen Lehre angegeben. Weiter hätten die Frühenglisch-Befürworter behauptet, die Sprache sei heute omnipräsent – und damit gewissermassen Kulturgut. Gemäss den Forschern kommen aber die wenigsten Schüler in ihrer Freizeit mit der Fremdsprache in Kontakt. Die Verwendung englischer Ausdrücke in der Jugendsprache sei bereits normal, habe aber wenig mit dem Lernen von Englisch als Schulfach zu tun.

Auch Gymnasiallehrer skeptisch

Der KRK-Vorstand weiss indes nicht nur die Forschung hinter sich. Auch der Verein Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer (VSG) zeigt sich gegenüber dem Frühenglisch skeptisch. Im Januar sprach sich der VSG dafür aus, dass als erste Fremdsprache eine Landessprache unterrichtet wird. Der Verein führte den Zusammenhalt der Schweiz sowie die Anforderungen der Wirtschaft an: Für eine Stelle in der Verwaltung oder bei vielen Firmen seien Kenntnisse in einer zweiten Landessprache Voraussetzung. Dieser Ansicht ist auch Rindlisbacher: «Das Englisch der Oberstufe reicht aus, um später schnell Fortschritte zu machen. Wir sollten uns damit begnügen, den Schülern eine gute Basis zu geben. Ihre Weiterbildung sollen sie selber gestalten können.»

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